Das GCB German Convention Bureau hat unter anderem den Auftrag, den Veranstaltungsmarkt zu evaluieren, Trends zu identifizieren und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. So wollen wir allen Akteur·innen, die im Kontext der Live-Kommunikation aktiv sind, Orientierung in der aktuellen Situation bieten, faktenbasierte Szenarien für die künftige Entwicklung aufzeigen und Impulse zur Innovation geben.
Darum soll es auch in diesem Beitrag gehen. Ich möchte Ihnen zeigen, wie sich die Tagungs- und Kongressbranche in den letzten Jahren entwickelt hat, welche nationalen und internationalen Studienergebnisse es im Moment gibt und worauf wir uns in den kommenden Jahren einstellen können.
Ich starte gern mit einem Bild, das das „alte Normal“ zeigt. Die kleinen Streifen im Hintergrund sind die Bewegungsmuster aller weltweit rollierenden wissenschaftlichen Kongresse seit 1873.
Europa ist der Kontinent, der in der Vergangenheit am meisten profitiert hat, nun aber auch am stärksten leidet. Über 50 Prozent aller Kongresse haben bisher in Europa stattgefunden. Diese Entwicklung hat sich auch positiv auf den Geschäftszweig der Business-Reisen ausgewirkt.
Hier war Deutschland bis vor der Corona-Pandemie das Land, in das weltweit die meisten Menschen gereist sind, um an Business-Veranstaltungen teilzunehmen. Wir kommen also aus einer Welt, in der es ganz normal war, in das Flugzeug, in die Bahn oder ins Auto zu steigen und sich schließlich am Zielort auszutauschen.
Im Jahr 2019 haben 423 Millionen Menschen an Tagungen und Kongressen in Deutschland teilgenommen. Das ist das Viereinhalbfache der Einwohnerzahl unseres Landes und zeigt sehr deutlich, wie wichtig eine Veranstaltung als Kommunikationsinstrument für Unternehmen und wissenschaftliche Institutionen ist. Was wir aber auch sehen, ist, dass die Anzahl der Teilnehmer·innen zwar steigt, die Anzahl an Events dagegen seit 2015 sinkt.
Das hängt damit zusammen, dass Veranstaltungen mit weniger als 50 Teilnehmenden bereits seit 2015 sehr häufig digitalisiert oder rein virtuell abgehalten wurden. Ein Trend, der durch Corona maximal beschleunigt wurde.
Darum haben wir uns den Markt direkt nach dem Lockdown angeschaut und analysiert, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Durchführung von Veranstaltungen hat. Klar erkennbar war, dass Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmer·innen überwiegend verschoben wurden. Kleinere und mittlere Veranstaltungen hingegen wurden entweder abgesagt oder direkt virtuell abgehalten.
Diese kleineren Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmer·innen machen in Deutschland rund 65 Prozent des Marktes aus. Was dabei ebenfalls wichtig ist: Von diesen Veranstaltungen finden rund 85 Prozent in deutschen Tagungshotels statt.
Die aktuelle Pandemie wirkt sich folglich maximal auf diejenigen aus, die Veranstaltungen als Kommunikationsinstrument nutzen sowie auf diejenigen, die als Dienstleister·innen dafür tätig sind.
Um zu verstehen, wie lange es dauern wird, bis sich der Veranstaltungsmarkt in Europa erholt, hat das GCB gemeinsam mit der Strategic Alliance of the National Convention Bureaux of Europe eine Studie bei Oxford Economics beauftragt.
Dabei wurden drei Einflussfaktoren für den Re-Start berücksichtigt:
Die Marktforscher·innen von Oxford Economics gehen davon aus, dass das Vor-Corona-Niveau nicht vor Mitte 2022 beziehungsweise im Worst-Case-Szenario erst im ersten Quartal 2024 erreicht werden wird.
Das erfordert von allen Akteuren der Veranstaltungsweltgroße Anstrengungen, und zwar im Bereich der Ideensammlung genauso wie im Bereich der operativen Umsetzung.
Wir haben insbesondere in den vergangenen Monaten verstanden und gelernt, dass der digitale Raum genutzt werden kann, um weiterhin zu kommunizieren, zu kooperieren und sich auszutauschen, auch wenn eine persönliche Begegnung nicht möglich ist. Diese digitalen Kanäle werden wir auch weiterhin nutzen. Auf der anderen Seite werden auch physische Events in Zukunft voraussichtlich wieder erstarken. Allerdings werden viele dieser Veranstaltungsformate eine Mischform darstellen, sich weiterentwickeln und neue Möglichkeiten zur Teilnahme bieten.
Rein physische Events werden erst einmal, so hat es Oxford Economics prognostiziert, in geringerem Maße stattfinden, als wir es noch aus dem Jahr 2019 kannten. Auch die Veranstaltung als solche wird sich ändern. Rein analoge Events werden als hybride Formate, also als eine Mischform zwischen analog und digital, zurückkommen.
Dementsprechend wird sich auch die Nachfrage verändern. Immer mehr Teilnehmer·innen, werden das Bedürfnis haben, sich wieder persönlich auszutauschen. Das hat unter anderem auch die hybride GCB-Mitgliederversammlung 2020 gezeigt. Diejenigen, die vor Ort dabei waren, erlebten das Event ganz anders als diejenigen, die rein virtuell zugeschaltet waren.
Das heißt: Wir müssen bei der Eventplanung dreidimensional denken.
Nur wer diese drei Perspektiven einnimmt, bietet die richtigen Dienstleistungen an und kreiert die richtigen Abläufe.
Für das GCB und sein Netzwerk ist es in diesem Kontext nicht nur wichtig, verschiedene Szenarien zu entwickeln und sie theoretisch zu besprechen, sondern diese auch ganz praktisch selbst zu testen – beispielsweise im Rahmen unserer Mitgliederversammlung oder des hybriden, räumlich-verteilten Kongresses BOCOM. Im Forschungsverbund „Future Meeting Space“, den wir gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO ins Leben gerufen haben, untersuchen wir zusammen mit vielfältigen Forschungspartnern bereits seit 2015, wie die Veranstaltung der Zukunft aussehen könnte.
Live-Veranstaltungen werden zurückkehren, allerdings zunächst nicht in gewohntem Maße oder auf dem hohen Niveau, das wir noch 2019 kannten. Wer künftig erfolgreich Veranstaltungen durchführen oder anbieten will, muss diese aus Sicht aller Teilnehmer·innen betrachten – derer, die vor Ort sind und derer, die remote zugeschaltet sind. Die vornehmste Aufgabe des Tagungs- und Kongressstandortes Deutschland liegt in Zukunft darin, sowohl die persönliche Begegnung zu ermöglichen als auch Menschen digital miteinander zu vernetzen.